Gittelde
spielte im weiten Umfeld immer eine Rolle und nicht nur für die Bergstadt
Bad Grund, deren Wiege dort unten stand. Von Gittelde kam auch der erste
Badegast zu uns und der war gleich prominent, die Herzogin Elisabeth von
Braunschweig-Lüneburg, die als Witwe im Amt Stauffenburg lebte. Sie
nahm bereits 1510 hier ihr wohltuende Schlackenbäder.
Schon eine sich früh entwickelnde Eisenindustrie – die Faktorei von
Gittelde – belieferte den Harz mit den erforderlichen Erzeugnissen. Gittelde
war die Bad Grundner Anschluss-Station zur Eisenbahn; es versorgte Teile
der Oberharzer Bevölkerung mit Lebensmittel. Der Blick von jeder Richtung
auf Gittelde – eingebettet in der weiträumigen, grünen Landschaft,
verfehlt die Wirkung nicht, ist malerisch. Zwei rechte Gotteshäuser,
die Jahrhunderte alt sind, wirken wie dörfliche Stützpfeiler:
ernst und gehaltvoll. Ein magisches Monument, gleichsam einer bergbaugeschichtlichen
Ehrenpforte, stellt das Stollenmundloch des Ernst-August-Stollens dar;
beim Schützenhaus von Gittelde in 202,5 m über der Nordsee.
Was war
seine Bedeutung?
Die
Erschließung des Harzes war eine Sache des Bergbaus; ein arbeitsintensiver,
gefahrvoller und Opfer fordernder Weg – über Jahrhunderte.
Die Oberbergämter konnten in immer guter Verhandlungsführung
mit regierenden Fürstenhäusern die erforderliche Infrastruktur
dafür schaffen – Lebensverhältnisse für einen Berufsstand.
Die Gewerke benötigten für ihre Antriebs- und Fördermittel
viel Wasserkraft. Die sammelte man in über 70 Teichen des Oberharzes,
über rund 300 Kilometer Gräben- und Wasserläufe, in einem
sensationell ausgeklügelten System, unter Nutzung unzähliger
Bergbau- Erfindungs-Patente. Wasser-Hauptlieferant: Quellbereiche und Hochmoore
des Bruchbergs. Hingegen drohte bei immer größerer Teufe der
Schachtanlagen ein Erliegen des Bergbaus, durch die dort anfallenden Wasser.
Abhilfe konnten nur Wasser-Lösestollen schaffen.
Dazu diente erst einmal der Tiefe-Georg-Stollen; benannt nach dem derzeit
regierenden Georg III. von Hannover. Der wurde erstellt zwischen 1777 und
1799, seine Länge betrug 10 521 m und mit Flügelörtern 19
000 m, sein Stollenmundloch liegt in Bad Grund, unterhalb der Zufahrt zur
Abgunst (einst: vor dem ehemaligen Bad Grundner Bahnhof.) Bald war ein
neuer, tiefer liegender Stollen geplant und in Angriff genommen. Die präzise
fachmännische Vorarbeit für dieses schier unmöglich gehaltene
Unterfangen lag in bewährten Händen einer Markscheider Persönlichkeit
namens Borchert.
Die Welt kannte damals nichts Vergleichbares. Der neue Stollen bekam den
Namen Ernst-August-Stollen, weil er in die Regierungszeit von Ernst August
I. und Georg V. fiel. Baubeginn war 1851, Fertigstellung 1864, Gesamtlänge
einschließlich aller Flügelörter 33 km Länge; Höhenmaße
bei 3m, Breite 2,40 m, er war also gut Schlauchboot befahrbar.
Da
die Bergwerks-Gewerkschaften die Bau-Erstellungskosten nicht erbringen
konnten, schoss das Königreich Hannover die fehlenden 330 000 Thaler
bei. Damit war der Oberharzer Bergbau in Staatsbesitz.
1866 vereinnahmte
Preußen das Königreich Hannover und war damit der Bergwerks-Eigentümer.
Abgesang:
Die
aus dem Mundloch des Ernst-August-Stollens in Gittelde austretenden Grubenwassser
des ehemaligen Erzbergwerks Grund, Grube „Hilfe Gottes“; (das Grubengebäude
ist nach Schließung am 31. März 1992 geflutet) fließen
über die Markau (Quellbereich unterhalb
des Hübichensteins)
zur Söse. |
Geblieben
ist von einer hohen Zeit in Weltgeltung stehendes Harzer Bergbaus die Erinnerung,
Grabenwege für Wanderer, Exponate für Museen und manchmal im
Traum unser Gruß „Glückauf!“
Westlich von Gittelde gelegen erstreckt sich ein Höhenzug, den wir
mit Westerhöfer Wald bezeichnen. Der kleine Anstieg zum Bergfried,
auf welchem sich die Ruinen der ehemaligen Stauffenburg befinden, ist beachtlich.
Die Ersterwähnung der Anlage war 1131, Gründung unter Heinrich
I. Burgen wechselten oft ihren Besitzer. Hier übernahm der große
Welfenherzog Heinrich der Löwe das Zepter. In der Reformationszeit
lebte hier gern Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig- Wolfenbüttel.
Und warum? Er benutzte das Anwesen als geheimes Liebesnest. Seine Angebetene
ein Edelfräulein am Hofe zu Braunschweig, namens Eva von Trott. Beide
waren unsterblich ineinander verliebt. Aber sie konnten sich nur hier in
der Stille und Abgeschiedenheit der Landschaft treffen: Standesunterschiede.
Hier
auf der Stauffenburg war für sie das Land des Wunderbaren, ihr Garten
Eden. Hier gebar Eva ihrem herzoglichen Gemahl innerhalb von 9 Jahren einen
Sohn und neun Töchter. Die Hebamme Kippenberg aus Gittelde stand ihr
bei der Geburt zur Seite.
War
Eva nicht guter Hoffnung, lebte man zwischenzeitlich fidel und munter in
der Herzogstadt. Wie üblich sickerte aber die Sachlage bei Hofe durch
und löste bei der Herzogin Marie und dem Hofstaat ein Erdbeben aus.
Die Liebenden
gerieten in eine Notlage – und die macht bekanntlich erfinderisch. Auf
das abenteuerliche Reagieren des Herzogs und seiner Eva – da muss erst
einmal einer drauf kommen: Er ließ Eva in Gandersheim sterben, angeblich
an der Pest. Kondolenz-Besucher erwiesen einer im Sarg aufgebahrten, getarnten
Puppe die letzte Ehre. Makaber. Die Begräbnishandlung lief nach vollem
kirchlichen Ritual –also auch mit Glockengeläut, ab. Und Eva ...,
die ließ es sich indessen auf der Stauffenburg gut gehen. Das Personal
war zum Schweigen vergattert. Der Prinzipal kam heimlich, aber beständig,
nicht umsonst: wovon insgesamt zehn Kinder zeugen. Derartiges bringt einfach
eines Tages die Sonne an den Tag. Heinrich brachte Eva zur Liebenburg.
Geburten standen weiter an. Ihr letztes Asyl ward ihr in Hildesheim gewährt,
wo sie etwas über sechzigjährig verstarb. –
Auf dem Vorplatz
der Burganlage grüßt aus jener Zeit die Eva von Trott-Linde,
die nichts gegen Liebende einzuwenden hätte. –
Äbtissin von Gandersheim: Die andere Episode, die sich im Jahre 1587
hier abspielte, löst fast einen Schock aus. Die Äbtissin Margarete
von Wahrburg hatte intime Beziehungen zum Stiftsverwalter. Wegen sittlicher
Verfehlungen verurteilte sie das geistliche Gericht; Urteil: Lebendige
Einmauerung! So geschah’s. Nahrung reicht man der Ärmsten durch ein
kleines Loch. Sie ertrug die Höllenqual acht Monate. –
Nach Nutzung
als Amtmann-Wohnung und Gefängnis verfiel die Burg Stauffenburg mehr
und mehr, wurde Baumaterial-Lieferant, wie so vielerorten.
Meine Frau und ich, wir sind vom Taubenborn gern zu Fuß durch die
lieblichen Wiesengründe der Feldmark zur Stauffenburg gelaufen, haben
von der Aussichtskanzel den Ausblick genossen, von der intakten Burganlage
und den Liebenden geträumt. Ein anheimelndes Plätzchen – zweifelsohne.
Das gepflegte Revier des Westerhöfer Waldes wirkte wohltuend. Der
Laubwald ehrfurchtgebietend. Himmelhohe Buchen mit prächtigen Kronen
– kuschelige Kleinareale poesievoller Selbstbesamung. Ein Wald der tausend
Motive. Inmitten des Waldreviers eine eingefasste, murmelnde Quelle.
Oberhalb am Buchenstamm ein Schild! Inschrift: Gottes Brünnlein hat
Wassers die Fülle! Welch wunderschöne Worte! (Ps.65,10). Hier
ruhten wir stets und uns fehlte nichts zum Glück! –
Wenn wir von der anderen Waldseite uns Gittelde näherten, sangen wir:
Im schönsten Wiesengrunde, ist meiner Heimat Haus.
Aus einem Garten im Ort winkt uns ein Mütterchen heran und schenkt
uns Birnen. Nachmals: Dankeschön! Und wenn ich die schönen, alten
Kirchen sehe – von denen Gittelde gleich zwei hat – wird mir’s immer so
warm um’s Herz – dann muss ich beider Außenmauern kurz mal streicheln;
wie ich am Stollenmundloch des Ernst-August-Stollens meinen Wanderhut ziehe!
Willi
Wagener |